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Robert Schumann – Liederzyklen für Frauenstimme

„Selig nur und traurig sein …“

„… Schumann ist der Jüngling, den ich lange liebte und beobachtete. Seine Seele möcht‘ ich mahlen, aber ich kenne sie nicht ganz; er hat sie [in] einen dichten Schleyer gehüllt, bewußt u. unbewußt, den reifere Jahre nur durchspähen können […] Sein Temperament (Melancholicus) […] Mehr Gefühls als Verstandesmensch …“

Als „Beylage zur Hottentottiana“ hinterlässt der junge Robert Schumann in den Tage­buchaufzeichnungen des Jahres 1830 der Nachwelt eine in mancher Hinsicht überraschend eindeutige Selbstcharakterisierung, kaum verstellt durch das übliche Versteckspiel seiner ironisch-sprunghaften Stilistik. Und tatsächlich scheint es im Hinblick auf alle für die vor­liegende Aufnahme ausgewählten Liederzyklen Schumanns, als dominierte von den sonst so „davidsbündlerisch“ widerstreitenden Zügen seiner Künstlerpersönlichkeit am Ende allein derjenige des schwermütigen Gefühlsmenschen, des „Melancholicus“.

Schonungslos trifft es den bestürzten Zuhörer, dass ausgerechnet all jene Liederkreise, die der Komponist explizit der Frauenstimme zugedacht hat, mit unerbittlicher Gesetz­mäßigkeit einen tödlichen Ausgang finden – ganz gleich, ob tragisch oder verklärt. Vielleicht liegt hierin auch eine der verborgenen Ursachen für die zögernde Verbreitung, die beispielsweise den Kulmann- und Stuart-Liedern noch heute zuteil wird. „Ich kann ohnmöglich heucheln oder die Leute merken die Verstellung im Augenblicke…“ Es ist eben diese unverbrüchliche, wenig applausheischende Grundhaltung Schumanns, die einer vor­dergründigen Eingängigkeit seiner Werke stets entgegenwirkt, dabei aber zugleich eine wesentliche Voraussetzung für wirklich nachhaltige Anerkennung darstellt.

Lieder der Mignon aus op. 98a

Ins Zentrum seines umfangreichen Vokalwerks für Soli, Chor und Orchester opus 98 stellt Robert Schumann die rätselhaft isolierte, androgyn schillernde Figur der „Mignon“ aus Goethes „Wilhelm Meister“. Die in den klavierbegleiteten Teil der Komposition ein­geflochtenen „Lieder der Mignon“ entstanden 1849 in den Wirren des Dresdner Maiauf­stands, der auch die Familie Schumann zur überstürzten Abreise aus der von Barrikaden­kämpfen erschütterten Stadt zwang. Wie oft bei Schumann kann hier das Komponieren als introspektiver Schutzreflex auf eine zutiefst bedrohlich erlebte Umwelt verstanden werden. Schumanns Tagebucheintragungen liefern unzweifelhafte Spuren dieser angsterfüllten Tage: „…Die Todten[…] die Suchenden […] überall unheimlich – Schrecken auf Schrecken[…] Bild einer schauerlichen Revolution…“ Und kurz darauf, nach geglückter Flucht: „Lieb­liches Thal […] Lieder d.Mignon […] Schöner Frühlingstag…“

Vor diesem Hintergrund erhält der klanglich betörende Eskapismus der vielbeschwore­nen Goethezeilen „Kennst du das Land“, melodisch eng verbunden mit dem darauffolgen­den „Nur wer die Sehnsucht kennt“, einen geradezu politischen Unterton. Und eine über­zeugendere Darstellung unaufhaltsamen, lebensnotwendigen Rückzugs in die Innenwelt als das in deklamatorischer Extatik aufflammende „Heiß mich nicht reden“ ist kaum zu denken.

In großen lyrischen Bögen über nervös bewegtem Klavieruntergrund beschwört der Schlussgesang „So laßt mich scheinen“ die Vision einer Überwindung aller Konflikte im paradiesischen Jenseits durch die Erlösung von der Körperlichkeit und das Ende der leid­vollen Geschlechterdichotomie. Und eben diese mit feinster Aufmerksamkeit erlauschte Mignon-Musik ist beredtes Zeugnis einer kunstvollen kompositorischen Selbstverschlüsse­lung, wie sie Schumann gerade in den hier eingespielten Liedkompositionen des weiblichen Sujets immer wieder gelang.

Lieder nach Gedichten von Elisabeth Kulmann op. 104

In zeitlicher wie poetischer Nähe zu den Mignon-Kompositionen stehen die Kulmann- Lieder, die Robert Schumann 1851 komponiert und die noch im selben Jahr in einer einzig­artigen, durch persönliche Anmerkungen des Komponisten ergänzten Druckausgabe er­scheinen. Schumanns engagiertes Eintreten für die vorwiegend naturlyrischen Gedichte der im Alter von 17 Jahren frühverstorbenen Elisabeth Kulman nimmt hellsichtig eine bahn­brechende Entwicklung des 20. Jahrhunderts vorweg: die Entdeckung des künstlerischen Ausdrucks der Kinderpsyche, die sich neben der Kunst der sogenannten „Verrückten“ und „Primitiven“ zu den stärksten Inspirationsquellen für die poetische Erkundung des Irrationalen entwickelt hat. So lassen sich beispielsweise noch in Heinz Holligers Liedern nach Gedichten der 6-10jährigen Mileva Demenga aus dem Jahr 1994 erstaunlich wesens­verwandte Merkmale zu Schumanns Kulmann-Zyklus feststellen. Vor allem ist es der An­schein des Einfachen, hinter dessen kaum wahrnehmbarer Unschärfe sich eine raffinierte rhythmische, metrische und harmonische Kompositionsgeschicklichkeit verbirgt, mit deren Hilfe beide Komponisten eine behutsame Annäherung des ‚erwachsenen‘ Künstlers an die schwer auszulotende Kinderseele unternehmen.

Es ist bekannt, dass der schon im Hause Wieck unter den jüngsten Klavierschülern und Hausbewohnern als Moritatenerzähler beliebt-berüchtigte Schumann, der später mit der Veröffentlichung der „Kinderszenen“ ein bescheidenes Maß an Popularität gewann und zum Zeitpunkt der Kulmann-Komposition bereits Vater von sechs Kindern war, bei aller äußerlichen Zurückhaltung und Unnahbarkeit eine besondere Emphase für die rätselhafte kindlichen Seelenwelt besaß.

Doch zugleich schwingt in den Kulmann-Vertonungen auch ein anderes Moment der persönlichsten Identifikation mit, wie es am intensivsten in dem Lied „Reich mir die Hand, o Wolke“ zutage tritt. Wie sehr sich Schumann von diesem Zeugnis eines frühen Vaterverlusts unmittelbar und schmerzhaft angesprochen fühlte, bezeugt der eruptive, leiden­schaftliche Duktus seiner Musik.

Die konkrete Textgestalt der Kulmann-Gedichte unterliegt allerdings einer editorischen Problematik. Gegen textliche Eingriffe ihres deutschen Erziehers, Förderers und einzigen Herausgebers in Personalunion, Karl Friedrich von Großheinrich, hätte sich die minder­jährige Petersburger Dichterin wohl kaum zur Wehr setzen können. Die Autorenschaft der Kulmannschen Gedichte wird daher leider von Zweifeln belastet – was allerdings einen Goethe und einen Jean Paul nicht daran gehindert hat, sich bereits vor Schumann öffentlich für die Dichterin einzusetzen.

Gedichte der Königin Maria Stuart op. 135

Auch im Falle der letzten Liedkomposition Schumanns, den „Gedichten der Königin Maria Stuart“ bestehen berechtigte Zweifel an der Authentizität der verwendeten Textvorlagen. Einen nicht unerheblichen Anteil an der komponierten Textversion hat in jedem Fall der Übersetzer und Herausgeber Giesbert Freiherr von Vincke, aus dessen Sammlung „Rose und Distel: Poesien aus England und Schottland“ Schumann die Gedichte entnimmt.

Wie erstmals in der schicksalsschweren Zeit seiner Eheschließung wählt Schumann eine Kompositionsvorlage mit stark biografischem Aspekt und erprobt damit an einem weiteren entscheidenden Wendepunkt seines Lebens eine verschlüsselte Analogie von Lieder- und Lebenszyklus. So wie das gesellschaftliche Scheitern Schumanns in der Düsseldorfer Musik­welt, der zunehmende körperliche und psychische Leidensdruck, die kaum noch zu bewäl­tigenden Familien- und Alltagssorgen Schumann mit düsteren Vorahnungen seiner finalen Lebenstragödie erfüllen, bewegt sich die Maria-Stuart-Figur seines Liederzyklus von der Kindheits-Emigration bis zu ihrer Hinrichtung im Sog des tragischen Untergangs.

Die im Spätwerk aufkommende Tendenz Schumanns, Liedkompositionen auch im Titel als „Gedichte“ zu bezeichnen, mag als ein Indiz für den zunehmenden Vorrang eines dekla­matorischen Stils betrachtet werden, wie er sich in der auffallenden Annäherung der Gesangsstimme an die Sprechlage, in der voranschreitenden Auflösung der musikalischen Stringenz, im Brüchigwerden und Abhandenkommen der melodischen Linie manifestiert. Hierin Kompositionsmerkmale Weberns oder Debussys vorausnehmend, erweist sich der vermittelte Ausdruck strukturellen Verfalls paradoxerweise als kompromisslose und hell­wache Modernität. Das Verlassensein der Gesangsstimme, die ins immer Fremdere sich auswachsende Entfernung und Verselbständigung des ehemals ,begleitenden‘ Klaviers, wie sie sich am deutlichsten im quasi rezitierten Brief „An die Königin Elisabeth“ und im Lied „Abschied von der Welt“ gestalten, dürften Schumanns Zeitgenossen noch als schlichtweg unzumutbar empfunden haben.

Frauenliebe und -leben op. 42

In Schumanns großes Liederjahr 1840 fällt die Entstehung des Liederkreises „Frauen­liebe und -leben“ nach dem gleichnamigen Gedichtzyklus des Berliner Naturforschers und Vormärz-Dichters Adelbert von Chamisso. Dass diese Komposition mittlerweile zu den meistaufgeführten deutschsprachigen Gesangszyklen für Frauenstimme zählt, könnte ver­wundern. Denn zunächst erweckte das neuartige Werk überwiegend Befremden und Ablehnung. Wesentlich freundlicher aufgenommen wurde seinerzeit Carl Loewes Komposition derselben Textvorlage aus dem Vorjahr 1839.

Schumanns persönliche Affinität zu jenem Gedichtzyklus um ein Lebensschicksal, das in den tragischen Verlust des geliebten Partners mündet, erscheint angesichts seiner eigenen damaligen Lebenssituation sehr verständlich. In den erhaltenen Zeugnissen seines langjäh­rigen Ringens um einen gemeinsamen Zukunftsentwurf mit Clara Wieck treten immer wie­der pessimistische und destruktive Züge zutage. Das drohende Gespenst eines jähen Glücksverlusts, einer unheilbaren Verwundung scheint omnipräsent. Es ist schließlich mit dem in gnadenloser Härte hereinbrechenden d-moll-Einleitungsakkord des letzten Liedes „Nun hast du mir den ersten Schmerz getan“ beklemmend auskomponiert. In ihrer unverstellten Depression erscheint die hier zutage tretende düster prophetische, in der Textwahl das eige­ne Todesschicksal vorzeichnende Neigung Schumanns jenen Vorahnungen Gustav Mahlers in dessen „Kindertotenliedern“ vergleichbar.

Dass der Komponist der „Kreisleriana“ und der schriftstellerisch hochbegabte Be­wunderer Jean Pauls sich allerdings nicht restlos zufriedengeben konnte mit der vorherr­schenden Eindimensionalität des weiblichen lyrischen Ichs und mit einer dichterischen Unbeholfenheit, wie sie bereits dem Zyklustitel entspringt, wird bei näherer Betrachtung evident. In weiten Zügen ist die Musik dem Wort entgegen- und zuwiderkomponiert. So manche textlich sich anbietende Glättung und Einebnung wird musikalisch vermieden zugunsten des Bruchs, der Spannungen und Risse, der Widersprüchlichkeit.

Schon das erste Lied „Seit ich ihn gesehen“ beginnt in eigenartiger Verzögerung. Die pausendurchlichtete Faktur des Klaviersatzes fängt beklemmend ein Moment seelischer Erschütterung ein, wie es erst in den Liedern Schönbergs wieder begegnet. Von biedermeierlicher Liebesseligkeit und Seinsgewissheit kann hier nicht die Rede sein. Stattdessen zieht sich von Anfang an durch das musikalische Geschehen ein immerwährender leiser Ton unterschwelligen Unbehagens, um schließlich als Katastrophe jäh hervorzutreten. Am tragischen Ende des Zyklus greift Schumann zu einem geradezu theatralischen Mittel: das finale Klaviernachspiel ist nichts anderes als der kopflose Torso, die pure Begleitmusik des Eingangsliedes. Endgültiges Verstummen nach dem Schock eines unersetzbaren Ver­lustes spiegelt sich in einer kompositorischen Enthauptung.

Burkhard Kehring

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